Warum Demokratie für alle funktionieren muss | 16 Zukunft gerecht

Shownotes

Die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie ist trotz vielfältiger Krisen stabil. Doch eine Befragung zeigt, dass sie sich mit knapp 50 Prozent auf niedrigem Niveau bewegt. Wir untersuchen, wie wirtschaftliche Ungleichheit, Unterschiede im Bildungsgrad und die regionale Herkunft damit zusammenhängen. Unsere Expert*innen teilen ihre Ideen zur Wiederherstellung des Vertrauens, sei es auf kommunaler Ebene oder durch eine transparentere Gesetzgebung.

Mit: Prof. Frank Decker (Universität Bonn), Alina Fuchs (FES), Gesine Schwan (SPD). Moderation: Katharina Schohl

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00:00:00: Hallo zum Podcast "Zukunft gerecht" der Friedrich Ebert Stiftung.

00:00:08: Ich bin Katharina Schohl und ich nehme Sie mit auf eine spannende Reise durch die Welt

00:00:14: der Fragen, Antworten und Vorschläge zu vielen Themenbereichen unserer Zukunft.

00:00:19: Wir erleben gerade viele Krisen gleichzeitig.

00:00:24: Pandemie, Krieg, Klimakrise, Inflation.

00:00:27: Da stellt sich die Frage, was macht das eigentlich mit der Demokratie?

00:00:32: Das hat die Studie Demokratievertrauen in Krisenzeiten der Friedrich Ebert Stiftung untersucht.

00:00:39: Im Vergleich mit der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2019 zeigt sich, trotz der vielfältigen

00:00:46: Krisen bleibt die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie stabil ist sogar leicht

00:00:52: gestiegen.

00:00:53: Aber sie bewegt sich leider immer noch auf zu niedrige Niveau, nämlich bei knapp 50 Prozent.

00:01:00: Es darf nicht das Missverständnis entstehen, dass Menschen, die mit dem Funktionieren der

00:01:05: Demokratie unzufrieden sind, ein Problem mit der Demokratie haben.

00:01:08: Sie sind vielleicht deshalb unzufrieden, weil sie die Demokratie auch mit bestimmten Prinzipien

00:01:13: verbinden und die real existierende Demokratie an diesen Prinzipien messen.

00:01:18: Und doch sind mehr als 50 Prozent der Befragten unzufrieden, so wie es bei uns läuft.

00:01:24: Woran liegt das?

00:01:26: Frank Decker, Professor für Politikwissenschaft und Autor der Studie und seine Kolleg*innen

00:01:32: haben deshalb nach der Meinung zu verschiedenen Lösungsvorschlägen gefragt.

00:01:37: Dafür muss man sich aber erst mal die Rahmenbedingungen anschauen, in denen wir leben.

00:01:42: Es gibt natürlich allgemeine Gründe, die Tatsache, dass die Gesellschaft sowohl sozial

00:01:49: ökonomisch, aber auch in kultureller Hinsicht eigentlich auseinander trifft.

00:01:55: Das ist ja keine kurzfristige Entwicklung.

00:01:58: Wir haben aber es auch eigentlich seit 20 Jahren mit einer Abfolge von großen Krisen

00:02:05: zu tun.

00:02:06: Beginnend mit 9/11 hatten wir die Finanzkrise, die zu einem großen Wirtschaftseinbruch

00:02:12: geführt hat.

00:02:14: Wir hatten den Brexit, zum ersten Mal verlässt ein Land die Europäische Union, die Wahl

00:02:19: von Donald Trump.

00:02:21: Wir hatten dann die Flüchtlingskrise.

00:02:24: Als das so einigermaßen überwunden war, kam dann etwas ganz Unerwartetes mit der Corona-Pandemie

00:02:32: und jetzt schließlich der russische Überfall auf die Ukraine.

00:02:36: Und das verunsichert die Menschen natürlich massiv.

00:02:40: Politik ist in diesen Krisenzeiten vielschichtiger und schwieriger zu durchschauen geworden.

00:02:46: Das sehen auch 3/4 der Befragten so.

00:02:48: Die Menschen sorgen sich insbesondere vor dem Klimawandel, der zunehmenden Feindseligkeit

00:02:54: in der Gesellschaft und vor einer drohenden Kriegsgefahr.

00:02:58: Das Vertrauen in die Demokratie ist auch davon abhängig, wie die Politik mit diesen schwierigen

00:03:03: Situationen umgeht.

00:03:05: Das, was am Ende des Tages herauskommt, welche Gesetze und Maßnahmen sie beschließt, bestimmt

00:03:11: mit, ob wir das Funktionieren der Demokratie als gut oder schlecht empfinden und natürlich

00:03:17: auch, wie sehr wir ihr vertrauen.

00:03:19: Die Zufriedenheit unterscheidet sich auch regional.

00:03:23: Schauen wir hier einmal genauer drauf.

00:03:26: In Westdeutschland, in der alten Bundesrepublik, haben sich die Werte gegenüber 2019 sogar

00:03:32: etwas verbessert.

00:03:33: Und in Ostdeutschland ist es ganz anders.

00:03:36: Da sind 2/3 unzufrieden.

00:03:38: Und das hat sich gegenüber 2019 nochmal erhöht, dieser Anteil.

00:03:42: Außerdem fällt auf, es sind vor allem die benachteiligten, schlechtergestellten Bevölkerungsgruppen,

00:03:48: die mit dem Funktionieren der Demokratie nicht einverstanden sind.

00:03:53: Gleiches gilt für Menschen mit einem niedrigeren Bildungsniveau.

00:03:56: Wie zufrieden wir mit der Demokratie sind, hat also offenbar auch etwas damit zu tun,

00:04:03: welchen sozialen Status wir haben.

00:04:05: Also, wie viel wir verdienen, wie gut unsere schulische Ausbildung ist, aber auch mit dem

00:04:11: Ort, an dem wir leben.

00:04:12: Wir haben da sehr große Probleme, etwa auf dem Wohnungsmarkt.

00:04:17: Also, wenn sich Menschen das Wohnen in ihrer Stadt nicht mehr leisten können, ist das

00:04:23: sozialer Sprengstoff.

00:04:24: Und da muss also wirklich entgegengewirkt werden.

00:04:27: Und da sind natürlich ganz große Fehler gemacht worden in der Vergangenheit, indem man zum

00:04:31: Beispiel den sozialen Wohnungsbau zurückgefahren hat.

00:04:34: Wir haben ja konkret gefragt, müssen Grund und Boden stärker reguliert werden.

00:04:40: Also, das geht ja dann potenziell bis hin zu Enteignungen.

00:04:43: Und da finden wir in der Bevölkerung eine starke Zustimmung.

00:04:46: Diese sozioeconomischen Faktoren, die soziale Schere innerhalb unserer Gesellschaft, steht

00:04:53: damit also in direkter Wechselwirkung mit unserer Demokratie zu Friedenheit.

00:04:57: Wollen wir diese steigern, gilt es also auch, an der sozialen Gerechtigkeit zu arbeiten.

00:05:03: Das betont auch Alina Fuchs, Referentin der Friedrich-Ebert-Stiftung für Demokratie

00:05:09: und Partizipation.

00:05:11: Demokratie muss ja für alle Menschen funktionieren.

00:05:14: Und es ist zum Beispiel auch so, dass 77 Prozent der Befragten es als Problem ansehen, dass

00:05:20: ärmere Menschen sich weniger an Wahlen beteiligen.

00:05:24: Also, da sieht man auch, dass es in der Gesellschaft ein großes Problembewusstsein gibt für diese

00:05:30: soziale Spreizung bei politischer Teilhabe.

00:05:33: 77 Prozent der Menschen sehen also ein Problem darin, dass sich ärmere Menschen weniger an

00:05:39: Wahlen beteiligen.

00:05:40: Aber was könnte eine Alternative sein?

00:05:43: Vielleicht mehr direkte Demokratie?

00:05:46: Was das bedeuten würde, erklärt Frank Decker.

00:05:49: Direkte Demokratie bedeutet, dass eben nicht nur Parlament und Regierung entscheiden, sondern

00:05:58: dass das Volk, dass die Bürgerinnen und Bürger auch die Möglichkeit haben, in Volksabstimmungen

00:06:04: bestimmte Fragen selber zu entscheiden.

00:06:08: Also am Parlament und an der Regierung vorbei.

00:06:12: Anders als auf Bundesebene wird das in den Bundesländern zum Teil sogar schon gemacht.

00:06:18: Zum Beispiel in Form von Volksentscheiden.

00:06:20: In der Studie wird direkte Demokratie von vielen befürwortet, allerdings ist bekannt,

00:06:26: dass ärmere Menschen sich an Volksentscheiden noch weniger beteiligen als an Wahlen.

00:06:32: Und es gibt noch einen Haken.

00:06:34: Der Nachteil von direktdemokratischen Verfahren ist natürlich, dass sie sehr, sehr komplexe

00:06:39: Entscheidungen zwangsläufig auf eine jahreinnein Entscheidung reduzieren müssen, was angesichts

00:06:46: der Komplexität der Herausforderungen.

00:06:48: die die Menschen, die diese jahrenein Entscheidung dann treffen müssen, durchblicken müssen, schwierig sein können.

00:06:54: Ähnlich sehren das auch Frank Decker und seine Kolleg*innen.

00:06:58: Auch sie stehen der direkten Demokratie eher skeptisch gegenüber.

00:07:02: Wir glauben, dass die direkte Demokratie den Menschen versprechen macht, die dann am Ende doch nicht einlösbar sind.

00:07:10: Und dann ist vielleicht der Frust noch größer.

00:07:13: Stattdessen sollte man sich fragen, so Decker, wie man die vorhandenen Einrichtungen unserer repräsentativen Demokratie verbessern

00:07:21: und um andere Formen der Bürgerbeteiligung ergänzen könnte.

00:07:25: Die Bürger*innen also auf andere Weise stärker in die demokratischen Prozesse unseres Landes einzubinden.

00:07:32: Eine Lösung könnten Bürger*innenräte sein.

00:07:35: Bürger*innen und Bürger aus allen Schichten der Gesellschaft kommen hier zusammen,

00:07:40: beraten über ein konkretes politisches Problem und erarbeiten Vorschläge, die dann in das Parlament gegeben werden.

00:07:48: Die Parlamentarier*innen müssten dann Rechenschaft darüber ablegen, wie sie weiter mit diesen Empfehlungen umgehen.

00:07:56: Es wäre sozusagen auch für den parlamentarischen Entscheidungsprozess ein weiterer Input an Interessen, Meinungen, Ideen, Vorschlägen

00:08:06: über die klassischen Anhörungen hinaus, die es ja sowieso schon gibt.

00:08:10: Eine gute Idee finden jedenfalls 76 Prozent der in der Studie befragten.

00:08:16: Nicht nur, um die Demokratie zu stärken, sondern auch, um die verschiedenen sozialen Gruppen zusammenzubringen

00:08:23: und einem weiteren Auseinanderdriften der Gesellschaft gegenzusteuern.

00:08:28: Für mehr Zusammenhalt und die Möglichkeit echter demokratischer Debatten.

00:08:34: Eine weitere Möglichkeit, das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie zu stärken, wäre der sogenannte "legislative Fußabdruck".

00:08:44: 80 Prozent der befragten finden uns gut.

00:08:47: Ein legislativer Fußabdruck heißt, dass man dokumentiert, wie und an welcher Stelle Interessenvertreter*innen an der Erarbeitung von

00:08:56: Gesetzesentwürfen beteiligt waren. Das heißt, ich kann sehen, wenn zum Beispiel Stellungnahmen von der Immobilienwirtschaft

00:09:05: in ein Gesetz zur Wohnraumförderung eingeflossen sind.

00:09:09: Das würde dazu führen, dass die Prozesse deutlich transparenter werden, nachvollziehbar.

00:09:16: Dieser diffuse Verdacht eines zu großen Lobby-Einflusses, dem würde entgegengewirkt und sowas kann natürlich vertrauensteigend wirken.

00:09:24: Zumindest 80 Prozent der Menschen, die wir befragt haben.

00:09:28: Wie auch immer unsere Demokratie am Ende aussehen und welche Veränderungen die Politik vornehmen muss, um allen Menschen gerecht zu werden.

00:09:36: Es liegt auch an uns, das Blatt zu wenden.

00:09:39: Es ist extrem wichtig, dass wir auch Engagement fördern und unterstützen, dass wir Gestaltungsmöglichkeiten schaffen, wo die Menschen direkt auch

00:09:49: Dinge mitentscheiden können. Zum Beispiel in der Kommune, dass wir möglichst viele Menschen dazu motivieren, in Vereine zu gehen,

00:09:57: in Parteien sich zu engagieren, in Gewerkschaften, in zivilgesellschaftlichen NGOs.

00:10:02: Weil wenn möglichst viele Menschen das Gefühl haben, dass sie etwas bewegen können, dass sie mit ihren Interessen irgendwie Gehör finden,

00:10:09: dass ihr Engagement etwas bringt, dann sind sie meistens auch deutlich zufriedener.

00:10:15: Mit der Demokratie haben wir mehr Vertrauen in die Prozesse, in die Institutionen und auch in die Kraft der Demokratie.

00:10:23: Wie wichtig die Kommunen für die Bewertung der Demokratie sind, betont auch Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan.

00:10:30: Die Kommunen sind die Orte, in denen die Menschen leben und wo man, wie sie sagt, Demokratie üben kann.

00:10:37: Weil jetzt, wo die Demokratie so kompliziert geworden ist und auch transnational geworden ist, sind die Kommunen noch viel wichtiger.

00:10:44: Weil sie der Ort sind, wo Bürgerinnen und Bürger Demokratie durchsichtig gemacht bekommen können und sich selbst durchsichtig machen können.

00:10:53: Das Hauptproblem ist, dass Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, diese Demokratie wird nicht durch sie bestimmt und die Ergebnisse,

00:11:01: sondern durch irgendwelche Mächte oder durch Lobbygruppen und sie durchschauen auch nicht, wie dieser demokratische Prozess ist, der in der Tat sehr schwierig ist.

00:11:08: Die Bürgerinnen an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und zu vermitteln, dass nicht über ihren Kopf hinweg entschieden wird.

00:11:16: Das sind zwei ganz zentrale Elemente auf dem Weg hin zu mehr Vertrauen.

00:11:21: Gesine Schwan plädiert deshalb für kommunale Entwicklungsbeiräte, Gruppen aus Vertreter*innen der Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die die langfristigen Ziele einer Gemeinde gemeinsam besprechen.

00:11:35: Wenn Bürgerinnen und Bürger erfolgreich tätig sind in so einer kleineren Umkreis, dann fühlen sie sich stärker.

00:11:43: Das ist sozusagen eine Selbstermächtigungserfahrung.

00:11:46: Und die ist ganz zentral für die Frage des Vertrauens.

00:11:49: Es gibt eine klare psychologische Korrelation zwischen Mangel an Selbstvertrauen und Selbstmachtgefühl einerseits und Misstrauen gegenüber dem System und allen anderen Menschen.

00:12:00: Und das kann man in so einer überschaubaren politischen Tätigkeit erwerben.

00:12:07: Und damit entsteht das, was wir in der Politikwissenschaft Systemvertrauen nennen.

00:12:11: Das heißt, dass man in das gesamte System aus der Erfahrung des Einzelteils der Demokratie, dass man da was bewirken konnte, dass man da was mit anderen zusammen machen konnte,

00:12:23: dadurch entsteht ein gutes Licht, in dem Demokratie insgesamt erscheint, also positiver.

00:12:28: Und damit entsteht vor allen Dingen Vertrauensbildung.

00:12:30: Das ist der Kern, gerade für Transformationsprozesse.

00:12:33: Vertrauen will eben verdient sein.

00:12:36: Die Gründe, weshalb eine knappe Mehrheit der Deutschen unzufrieden mit dem Funktionieren unserer Demokratie ist, sind eben so vielfältig wie die Lösungsansätze.

00:12:46: Der gemeinsame Nenner ist "alle Bürgerinnen und Bürger".

00:12:50: Egal, welcher gesellschaftlichen Schicht sie angehören, müssen mitgenommen werden.

00:12:55: Ihre Bedürfnisse müssen wahrgenommen werden, sie müssen sich in der Gesetzgebung wiederfinden

00:13:01: und ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, an Entscheidungsprozessen mitzuwirken.

00:13:06: Passiert das nicht.

00:13:07: Was wird dann aus unserer Demokratie?

00:13:10: Und damit sind wir auch schon wieder am Ende unserer aktuellen Folge "Zukunft gerecht", dem Podcast der Friedrich-Ebert-Stiftung.

00:13:19: Ich sage vielen Dank fürs Zuhören, wir freuen uns, wenn Sie den Podcast abonnieren.

00:13:25: Sie finden uns auf Spotify, Apple Podcast und allen anderen bekannten Podcast-Plattformen.

00:13:32: [Musik]

00:13:36: *Pfiff*

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